Nach § 4 des Anwendungsgesetzes zur EKD-Gewaltschutzrichtlinie hat die betroffene Einrichtung beim Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung grundsätzlich die Strafverfolgungsbehörden und erforderlichenfalls staatliche Aufsichtsbehörden zu informieren und mit diesen eng zu kooperieren.
Das Interventionsteam der Evangelisch-reformierten Kirche begleitet kirchliche Körperschaften eng bei Umsetzung dieser Schritte. Es stellt sicher, dass diese entsprechend der aktuellen Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden (BMJV 2021) sowie der weiteren Ausführungen des Bundesjustizministerium ausgeführt werden.
Nur bei einer akuten Gefahr, die ein sofortiges Handeln erforderlich macht, sind die Strafverfolgungsbehörden auch ohne eine vorherige Abstimmung mit dem Interventionsteam einzuschalten. Die Kirchenleitung ist über einen solchen Schritt unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
Informationspflicht
Die Strafverfolgungsbehörden sind frühzeitig von einem Verdacht in Kenntnis zu setzen.
Eine vorherige Klärung strafrechtlicher Fragen ist nicht erforderlich. Diese bleibt den Strafverfolgungsbehörden vorbehalten. Sofern nicht sicher auszuschließen ist, dass ein Verhalten strafbar ist, sind sie zu informieren, um eine fachlich qualifizierte Prüfung vorzunehmen.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln objektiv sowohl die belastenden als auch die entlastenden Tatsachen. Ihre Ermittlungen können somit auch dazu führen kann, dass ein Tatverdacht ausgeräumt wird.
Betroffenen Personen gibt ein Ermittlungs- und Strafverfahren Gelegenheit, ihr Schweigen zu brechen und das von ihnen erlittene Unrecht öffentlich zu benennen. Rückblickend haben betroffene Personen daher vielfach den Wunsch geäußert, es sei seinerzeit ein Strafverfahren durchgeführt worden.
Eine Meldung an die Strafverfolgungsbehörden ist mit den betroffenen Personen abzustimmen. Sie sind darin zu bestärken, selbst Strafanzeige zu erstatten.
Der gesetzlichen Informations- und Beteiligungspflicht ist aber nicht schon dadurch genüge getan, dass betroffene Personen auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Die kirchliche Körperschaft hat sicherzustellen, dass die Strafverfolgungsbehörden alle erforderlichen Informationen erhalten.
Nur auf den ausdrücklichen Wunsch betroffener Personen (oder ihrer gesetzlichen Vertreter) kann ausnahmsweise von einer Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden abgesehen werden, wenn keine konkrete Gefahr für weitere Personen besteht.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Ängste und widerstreitende Gefühle die Entscheidungsfreiheit betroffener Personen einschränken können. Möglicherweise widersprechen sie der Einleitung einer Strafverfolgung aus Angst vor Repressalien, Scham wegen angeblicher Mitschuld oder dem Gefühl, für das künftige Wohlergehen der Tatperson verantwortlich zu sein. Deswegen sollte eine fachliche Beratung betroffener Personen erfolgen, bevor deren Wunsch entsprechend auf eine Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden verzichtet wird.
Beteiligungspflicht
Polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Verfahren haben Vorrang vor kirchlichen Verfahren. Aus dem Grund ist mit den Strafverfolgungsbehörden abzustimmen, inwiefern die Schritte des Interventionsleitfadens mit Rücksicht auf die strafrechtlichen Ermittlungen ausgeführt werden können. Gegebenenfalls sind sogar Schutzmaßnahmen zurückzustellen, wenn sie eine Beweissicherung erschweren würden. Für erste beweissichernde Maßnahmen genügt den Strafverfolgungsbehörden oftmals ein zeitlicher Vorsprung von wenigen Tagen, in besonders gelagerten Fällen sogar von wenigen Stunden.
Sofern weiteren Behörden Meldung von einem Verdachtsfall zu machen ist, sollte ihnen mitgeteilt werden, welche staatlichen Stellen eingeschaltet worden sind. Dies erleichtert es ihnen, ihre jeweiligen Aufgaben koordiniert wahrzunehmen.
Meldungen nach § 8a SGB VIII und § 47 SGB VIII haben entsprechend dem Schutzkonzept der jeweiligen Einrichtung zu erfolgen. Es empfiehlt sich, im Schutzkonzept einer Einrichtung auch festzuhalten, welches die zuständige kriminalpolizeiliche Fachdienststelle für Sexualdelikte ist. Zu ihr ist im Verdachtsfalls Kontakt aufzunehmen, da ihr Personal für die Belange betroffener Personen besonders sensibilisiert ist.
Meldungen sind – wie alle Schritte des Interventionsleitfadens – genau zu dokumentieren. Es ist zu vermerken:
- welche Strafverfolgungs- und staatliche Aufsichtsbehörden eingeschalten worden sind sowie die Gründe dafür,
- (insbesondere sollte ausführlich begründet werden, wenn ausnahmsweise von einer Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden abgesehen worden ist)
- Datum der Meldung
- Form der Meldung
- Name und berufliche Funktion derjenigen Person, die die Meldung erstattet hat, sowie derjenigen Person, die die Meldung entgegen genommen hat,
- Absprachen, die bezüglich des weiteren Verfahrensablaufs getroffen worden sind.