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von Helge Johr

Seenotrettung im Mittelmeer

Die Evangelisch-reformierte Kirche unterstützt United4Rescue, das Bündnis für die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Nach einem ersten kirchlichen Rettungsschiff im Jahr 2019, konnten mittlerweile drei weitere Bündnisschiffe in den Einsatz gebracht werden – und bislang rund 8000 Menschenleben gerettet werden.

Zivile Seenotrettung

Im Mittelmeer ertrinken Tausende Menschen, obwohl Seenotrettung staatliche Pflicht ist. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aber setzen auf Abschottung. Seit 2019 gibt es keine staatliche Seenotrettung mehr. Stattdessen unterstützt die EU libysche Milizen, die als „Küstenwache“ auftreten. Sie sollen die schutzsuchenden Menschen mit Gewalt daran hindern, europäischen Boden zu erreichen. Mehr noch: Europäische Staaten behindern systematisch zivile Rettungsorganisationen. Rettungsschiffen wird das Ein- oder Auslaufen in Häfen untersagt, sie werden wegen angeblicher Regelverstöße festgesetzt, müssen immer höhere bürokratische Auflagen erfüllen oder werden durch die Zuweisung besonders entfernt liegender Häfen aus dem Rettungsgebiet ferngehalten.

Die Evangelisch-reformierte Kirche sieht das Retten von Menschenleben als christliche und humanitäre Pflicht an. Es ist ein Gebot der Nächstenliebe, Menschen in Not nicht ihrem Elend zu überlassen. Daher unterstützt die Evangelisch-reformierte Kirche die zivile Seenotrettung, die handelt und Menschenleben rettet, wo staatliche Seenotrettung fehlt.

Resolution des 37. Evangelischen Kirchentages

Vor dem Hintergrund der erschreckenden humanitären Situation auf dem Mittelmeer wurde auf dem 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni 2019 eine Resolution verabschiedet, mit der die EKD und ihre Gliedkirchen aufgefordert wurden, selbst ein Schiff ins Mittelmeer zu schicken, „ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe.“

In der Resolution heißt es:

"Am Weltflüchtlingstag haben wir beim 37. Deutschen Ev. Kirchentag in Dortmund in der großen Westfalenhalle bei der Veranstaltung „Gemeinsam für offene Häfen in Europa“ Mattea Weihe von der Sea-Watch zur Situation auf dem Mittelmeer gehört: „Weil keine Rettungsschiffe durch die Gewässer fahren, die Rettungen durchführen, steigt die Todesrate weiter, wenn wir nicht jetzt handeln. Wir brauchen wieder Schiffe, die Sorge tragen können, dass der nächste Weltflüchtlingstag gebührend gefeiert werden kann. Wir als Sea-Watch wollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, den Städten und Kommunen, der Kirche und euch allen ein Zeichen setzen und ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt schicken. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe. Ein Schiff von uns, von euch, von allen."

Als Kirche dürfen wir dem Scheitern der europäischen Regierungen nicht zusehen. Kleine symbolische Schritte zur Aufnahme von Flüchtlingen sind wichtig, aber beenden das Sterben im Mittelmeer durch die fehlende Seenotrettung und die fehlenden sicheren Fluchtwege nicht.

Daher fordern wir die EKD und ihre Gliedkirchen auf, selbst mutig zu handeln: Schickt selbst ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe. Ein Schiff von uns, von euch, von allen."

United4Rescue

United4Rescue ist ein gemeinnütziger, unabhängiger Verein, der die zivile Seenotrettung im Mittelmeer unterstützt und hilft, Leben zu retten. Der Verein wurde 2019 aus der evangelischen Kirche heraus gegründet. Durch Spenden konnte United4Rescue bereits vier Rettungsschiffe und zahlreiche Rettungseinsätze unterstützen und ermöglichen.

Zugleich ist United4Rescue ein breites Bündnis hunderter Organisationen, die die Überzeugung eint, dass man keine Menschen ertrinken lässt. Das Bündnis setzt sich öffentlich für Seenotrettung und sichere Fluchtwege ein.


Position zur Seenotrettung der Evangelisch-reformierte Kirche

Förderung der Seenotrettung

Das Moderamen der Evangelisch-reformierten Kirche hat sehr frühzeitig im Sommer 2019 die Unterstützung der Landeskirche zugesagt und einen Betrag von 15.000 Euro dafür zur Verfügung gestellt. Die Gesamtsynode hat diese Förderung mit dem Haushaltsbeschluss für das Jahr 2020 bestätigt.

Daneben ist zu Kollekten für United4Rescue aufgerufen worden, die in vielen Kirchengemeinden durchgeführt wurde. Über die Webseite des Diakonischen Werkes der Evangelisch-reformierten Kirche kann für United4Rescue gespendet werden.

Argumente für die Seenotrettung

Dieses Engagement von Kirchen für zivile Seenotrettung ist nicht unumstritten. "Neben befürwortenden und dankbaren Stimmen hat es auch vereinzelt ernsthafte Kritik an diesem Projekt gegeben. Das Moderamen der Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirchen bewegen zwei Gründe, dieses Anliegen zu unterstützen:

  1. Durch das Evangelium von Jesus Christus sind wir zur unmittelbaren Hilfe herausgefordert. Zur Hilfe auch für die verantwortungslos ausgesetzte und vom Tod bedrohten Menschen auf dem Mittelmeer.
  2. Die Kirchen und ihre zivilgesellschaftlichen Partner setzen damit ein unübersehbares Zeichen, dass die Staaten Europas dieser unmittelbaren humanitären Pflicht an ihren Grenzen nicht oder nur unzureichend nachkommen.

Die Seenot der Flüchtlinge im Mittelmeer ist eine Folge des Versagens von staatlicher Hilfe und der Zusammenarbeit von Staaten. Die Kirche greift in der Regel nicht in die Tagespolitik ein, sie macht es auch hier nicht. Aber Kirche sorgt für Menschen in Not, auch dann, wenn sie durch die Schwäche staatlichen Handelns in Not geraten. Diakonisches Handeln ist immer dann entwickelt und gestärkt worden, wenn Menschen in existenzielle Nöte geraten sind und es keine staatlichen Hilfen gegeben hat. Nichts anderes geschieht durch das Entsenden eines Rettungsschiffes.

Häufig wird eingewandt, die Kirchen sollten doch lieber den Menschen in Afrika helfen, anstatt Flüchtlinge zu retten und dann nach Europa zu lassen. Natürlich bleibt es grundlegend, den Flüchtlingen bereits in ihren Herkunftsländern zu helfen. Das geschieht ja auch an vielen Stellen und die Kirchen unterstützen diese Entwicklungsarbeit mit Spenden und Beiträgen in Millionenhöhe; erwähnt seien nur die Diakonie-Katastrophenhilfe und „Brot für die Welt“. Die Unterstützung der evangelischen Kirche bei der zivilen Seenotrettung stellt nur einen kleinen Teil des diakonischen Handelns der Kirche dar. Den 15 000 Euro, die die reformierte Kirche zu einem Rettungsschiff beitragen möchten, stehen über 600 000 Euro gegenüber, die allein von ihr jährlich für Entwicklungshilfe und Partnerschaftsarbeit der Kirchen bereitgestellt wird.

In dem ökumenischen Netzwerk der Kirchen werden Menschen, die daran denken, schon in den Ursprungsländern angesprochen. Durch Bildungsarbeit, wirtschaftliche Hilfen und andere Unterstützungen werden erhebliche Leistungen erbracht, um die Lebenssituation in den Herkunftsländern zu verbessern. Zudem ist das Thema Migration einer der Schwerpunkte der Diakonie in den afrikanischen Kirchen. Dazu gehören natürlich auch Warnungen vor den falschen Versprechungen der skrupellosen Schlepper und der Versuch, Perspektiven im eigenen Land zu eröffnen. Ziel dieser Bemühungen ist es, Menschen zum Verbleib in ihrem Heimatland zu bewegen. Um hier grundlegend abzuhelfen, bedarf es aber politisch und wirtschaftlich noch ganz anderer Initiativen Europas gegenüber den Ländern Afrikas.

Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass tausende Menschen sich auf den Weg machen und den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich nehmen und nach Europa kommen. Es kann den europäischen Staaten nicht egal sein, was an ihren Grenzen passiert. Daher besteht eine Verantwortung, Menschen, die dabei in Seenot geraten, zu retten. Teil dieser Rettung ist, unter der Berücksichtigung internationaler Regelungen, die geretteten Menschen in einen sicheren Hafen zu bringen. Derzeit stehen dafür nur Häfen in Europa zur Verfügung.

Ganz Europa muss seinen Teil zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingsbewegungen beitragen. Dies ist für jeden Staat auch eine Belastung. Der weitaus größte Teil dieser Last ist derzeit Ländern aufgebürdet, die zu den ärmsten der Welt gehören, denn anders als es in Europa wahrgenommen wird, liegen die Länder mit den höchsten Flüchtlingsquoten nicht in Europa, sondern es sind Libanon, Jordanien, Türkei, Uganda und Sudan (Stand 2018). Aber auch in Europa sind die Lasten seit vielen Jahren ungerecht verteilt: In Italien und Griechenland sind bis heute sehr viel mehr Flüchtlinge gestrandet als die dortige Infrastruktur verkraften kann. Und andere Länder verweigern grundsätzlich jede Hilfe für Migranten. Das sollten wir uns in Deutschland immer ins Bewusstsein rufen.

Gegen die zivile Seenotrettung wird vielfach auch eingewandt, diese Schiffe würden Flüchtlinge und Schlepperbanden erst recht animieren und letzteren die Taschen mit Geld füllen, sog. „Pull-Faktoren“. Gerade mit dieser Argumentation wird oft jenen sehr feindselig begegnet, die mit ihren Schiffen Menschenleben retten. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen aber bestätigen diese Annahme nicht. Zu keinem Zeitpunkt haben sich die Zahlen der Migranten, die über das Mittelmeer kommen, verringert, wenn keine Seenotrettungsschiffe unterwegs waren. Der Hauptgrund für die Migration bleibt die schwierige bis unerträgliche Lage in den Herkunftsländern. Was aber leider in den letzten Jahren angestiegen ist, das ist der Anteil der Menschen, die bei der Flucht über das Mittelmeer sterben.

Das Moderamen der Evangelisch-reformierten Kirche hat insoweit klargestellt: Wir dürfen Menschen, wenn wir helfen können, nicht ertrinken lassen – es darf erst recht kein Argument sein, dass andere dadurch „abgeschreckt“ werden sollen, sich auf den Weg zu machen. Wer die Pflicht zur Hilfe für Menschen in Not aus solchen Überlegungen grundsätzlich verneint, verletzt und verlässt Grundwerte der reformierten Kirche – ob die- bzw. derjenige austritt oder nicht. Solange der staatlich organisierte Grenzschutz nicht verhindert, dass auf dem Mittelmeer und also an den Grenzen von Europa so viele Menschen sterben, solange ist auch eine zivile und von der Kirche unterstützte Seenotrettung nötig.

So klar das Moderamen der Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirche diese Position vertritt, so deutlich will es zugleich gesprächsoffen bleiben für jene Menschen – auch unter den Gemeindegliedern – die ernsthafte Einwände gegen solche Initiativen haben, weil sie sich wegen des Einwanderungsdrucks Richtung Europa große Sorgen machen."

(Erläuterungen von VP Helge Johr auf der Synode der Evangelisch-altreformierten Kirche im November 2019)