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von Insa Agena

Aufarbeitungsstudie ForuM

Ende 2020 nahm der Forschungsverbund Forumit einer breit angelegten unabhängigen Studie zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche seine Arbeit auf. Nach drei Jahren wurden die Ergebnisse am 25.01.2024 veröffentlicht.

Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre 20 Landeskirchen haben die Aufarbeitungsstudie ForuM ausgeschrieben und finanziert, um mehr über die Gefährdungskonstellationen für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu erfahren. Die Ergebnisse werden seit der Veröffentlichung intensiv und breit diskutiert, um bestehende Konzepte zur Aufarbeitung, Intervention und Prävention weiter zu verbessern.

Der Koordinator des Forschungsverbunds, Prof. Martin Wazlawik, übergibt im Rahmen einer Presssekonferenz am 24. Januar 2024 in Hannover die ForuM-Studie an die (damals amtierende) Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs. Foto: Jens Schulze/epd

Teilprojekte

Der Forschungsverbund besteht aus sechs Teilprojekten. Ein sogenanntes „Meta-Projekt“ setzt eine verbindende Klammer.

Meta-Projekt

Das Metaprojekt EKD im Rahmen des Verbundvorhabens „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ koordiniert den Verbund und die Zusammenführung der Ergebnisse.

Dazu organisiert es die Aufbereitung bisheriger Forschungserkenntnisse, entwickelt Modelle für die weitere lokale Aufarbeitung in einzelnen Einrichtungen und unterstützt durch Wissenschaftskommunikation. Zudem führt das Metavorhaben mehrere kleinere Studien zu spezifischen Fragestellungen durch.

Teilprojekt A

Das Teilprojekt A: Perspektive „Evangelische Spezifika: Kirche und Gesellschaft“ untersucht Praktiken sexualisierter Gewalt und den institutionellen, kirchlichen, staatlichen und öffentlichen Umgang damit in den Landes- und Gliedkirchen der EKD.

Es nimmt dabei in einer historischen und religionssensiblen Perspektive mögliche evangelische Spezifika in den Blick. Dazu berücksichtigt es, inwieweit entsprechende Fälle von sexualisierter Gewalt in Korrelation zu den politisch wechselnden Umständen in Diktatur und Demokratie stehen und welche gesellschaftlichen Wechselbeziehungen zu berücksichtigen sind.

Neben dem spezifischen Fokus bietet das Teilprojekt A eine historische und religionssensible Perspektive auch für die anderen Teilprojekte, welche zur Konzeption der jeweiligen Studien und zur Auswertung von Daten und Material zur Verfügung gestellt wird.

Teilprojekt B

Das Teilprojekt B „Organisation und Person: systemische Bedingungen und die Praxis der Aufarbeitung (sexualisierter) Gewalt“ zielt auf Basis einer Analyse des bisherigen Wissens über die organisationalen und institutionellen Bedingungen sexualisierter Gewalt auf die Untersuchung der Aufarbeitungspraxis sexualisierter Gewaltkonstellationen im evangelischen Bereich.

Dazu werden deutschsprachige wie internationale Forschungsbefunde systematisiert und auf ihre Spezifik für den evangelischen Bereich hin fokussiert. Anschließend wird in drei Fallstudien aus dem Feld der Diakonie und der verfassten Kirche die bisherige Praxis der Aufarbeitung im Bereich der Frühpädagogik und der Kirchengemeinden untersucht. Die entsprechenden Forschungsbefunde dienen abschließend dazu, Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung von Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt zu ziehen

Teilprojekt C

Im Zentrum des Teilprojekts C steht der Versuch, erlittene Gewalt im Verantwortungsbereich der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Diakonie in ihrer Vielgestaltigkeit zu beschreiben, die Bedingungen und Kontexte ihres Auftretens darzustellen und die biografischen Folgen für die betroffenen Personen zu rekonstruieren.

Um das Spektrum von belastenden Erfahrungen abzubilden, werden mehrere Differenzierungsdimensionen in den Blick genommen: (a) unterschiedliche Gewaltformen (b) unterschiedliche Betroffenen-Täter*innen-Konstellationen, (c) unterschiedliche institutionelle Settings, innerhalb derer Gewalt ausgeübt wurde, (d) unterschiedliche historische Phasen, in denen (sexualisierte) Gewalt ausgeübt wurde und in denen Aufdeckung und Aufarbeitung initiiert oder verhindert wurden. Ziel ist die multiperspektivische Rekonstruktion von Fällen (sexualisierter) Gewalt und des institutionellen Umgangs damit aus der Perspektive von Betroffenen.

Im ersten Teilschritt werden 40 leitfadengestützte problemzentrierte Interviews mit Betroffenen geführt. Zehn ausgewählte Fälle, die nach Möglichkeit die unterschiedlichen institutionellen Settings berücksichtigen, in denen sexualisierte Gewalt erlebt werden musste, werden Tiefenanalysen unterzogen. Die Teilstudie ist partizipativ angelegt und bezieht Betroffene als Co-Forschende in den Forschungsprozess ein.

Teilprojekt D

Das Teilprojekt D: Die Perspektive Betroffener auf Strukturen der evangelischen Kirche und deren Nutzung durch Täter*innen fokussiert ebenso wie die anderen Teilprojekte die Identifizierung täterschützender Strukturen innerhalb der evangelischen Kirche und in diesem Zusammenhang auch die Analyse der Merkmale von Beschuldigten in Fällen von sexualisierter Gewalt innerhalb kirchlicher oder diakonischer Institutionen.

Primäres Ziel ist es, die Verknüpfung täterschützender Strukturen mit individuellen Charakteristika von Beschuldigten vor dem spezifischen Hintergrund der evangelischen Kirche interdisziplinär-sexualwissenschaftlich und vor allem aus Sicht der Betroffenen zu untersuchen.

Die Fragestellungen werden in drei Teilschritten bearbeitet:

  • Im ersten Teilschritt werden halb-strukturierte Interviews mit Betroffenen durchgeführt, durch die täterschützende Strukturen aus deren Sicht herausgearbeitet werden können.
  • Im zweiten Teilschritt erfolgt eine quantitative Onlinestudie, an der Betroffene sexualisierter Gewalt im Kontext der evangelischen Kirche anonym teilnehmen und zu ihren Erfahrungen im Vorfeld sowie bei der Tat/den Taten, insbesondere aber nach der Tat/den Taten Auskunft geben können.
  • Im dritten Teilschritt werden halb-strukturierte Interviews mit Beschuldigten geführt.

Teilprojekt E

Das Teilprojekt E: Perspektive „Kennzahlen und Umgang“ hat die Analyse des qualitativen und quantitativen Ausmaßes der stattgefundenen sexualisierten Gewalt im Bereich der evangelischen Kirche in Deutschland zum Ziel. Dabei geht es neben der Ermittlung von allgemeinen Kennzahlen zur Häufigkeit um quantitative Ergebnisse zu Täter*innen, Betroffenen, Tatkomplexen und Tathandlungen.

Weiterhin wird der Umgang der Institution mit Fällen sexualisierter Gewalt in Form eines umfangreichen Fragebogens systematisch erfasst. Die aus dem Aktenmaterial der EKD, der Landeskirchen und teilweise auch der Diakonischen Werke ermittelten Daten sollen Rückschlüsse auf spezifische Risikokonstellationen, die sexualisierte Gewalt begünstigt haben, ermöglichen. Diese aktenbasierte Perspektive trägt eigenständige Erkenntnisse zu möglichen spezifische Strukturen und Dynamiken, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche begünstigen oder erschweren, bei.